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Neoklassische Theorie

zu Beginn des 20. Jh. sich einbürgernder Begriff für ein Lehrgebäude, das alle Preise und Mengen von Gütern und produktiven Leistungen durch Angebot und Nachfrage zu erklären versucht. Zwar lassen sich einige zentrale Momente der Neoklassischen Theorie, wie z.B. das Grenznutzen- und Grenzproduktivitätskonzept, zumindest in embryonaler Form bereits im älteren Schrifttum nachweisen. Die Geburtsstunde der Theorie wird jedoch vielfach in die Zeit der sog. Marginalistischen Revolution nach 1870 verlegt. Als Begründer der Neoklassischen, auch marginalistisch genannten Theorie gelten demnach William S. JEVONS (1835-1882) in England, Carl MENGER (1840-1921) in Österreich und Leon WALRAS (1834-1910) in Lausanne. Die bei allen Gemeinsamkeiten der drei Analysen bestehenden Besonderheiten betonend, haben sich eine anglo-amerikanische bzw. Cambridge-Schule, eine Österreichische Schule und eine Lausanner Schule herausgebildet. Bedeutende Vertreter der angloamerikanischen Richtung sind Alfred MARSHALL (1842-1924) und John B. CLARK (1847-1938), der österreichischen Richtung Eugen von BÖHM-BAWERK (1851-1914), Friedrich Freiherr von WIESER (1851-1926) und Knut WICKSELL (1851-1926) sowie der Lausanner Schule Vilfredo PARETO (1848-1923). Ein Kennzeichen der Neoklassischen Theorie ist der methodologische Individualismus: die Rekonstruktion gesellschaftlicher Sachverhalte unter Rückgriff auf die Motive, Entscheidungen und Handlungen von Individuen, die entscheidungslogische Fundierung wirtschaftlicher Phänomene (Methodologie). Im Zentrum der frühen Neoklassik steht die »bedürftige Menschennatur«. Die im Werk Hermann H. GOSSENs (1810-1858) einen ersten Höhepunkt erlebende subjektive Wertlehre (GOSSENsche Gesetze) weist bereits deutliche Züge der späteren Theorie der einzelwirtschaftlichen Optimierung unter Nebenbedingungen auf. In der Güternachfrage des nutzen-maximierenden Individuums spiegelt sich der mit zunehmender Gütermenge abnehmende Grenznutzen, im Arbeitsangebot das mit zunehmender Tätigkeit zunehmende »Arbeitsleid« wider. In der Österreichischen Schule wird auch das Angebot von Produktionsmitteln nutzentheoretisch gedeutet: als die Kosten der möglichen alternativen Verwendung dieser Mittel (Alternativkosten bzw. opportunity costs). Die Produktion wird als eine Art Einbahnstraße begriffen, die von originären Faktorleistungen zu genußfähigen Produkten führt. In der Spartätigkeit, mittels der die zeitliche Konsumstruktur beeinflußt werden kann, drückt sich die Höherschätzung der Gegenwartsbedürfnisse (von BÖHM-BAWERK) bzw. die Zeitpräferenz des Konsumenten aus. Die Theorie liegt in einer auf WALRAS zurückgehenden totalanalytischen Variante (Totalanalyse, Gleichgewicht) sowie in einer auf MARSHALL zurückgehenden partialanalytischen Variante vor. Erstere befaßt sich mit der Interdependenz von Märkten, letztere mit den Verhältnissen auf einem Markt in Isolation (ceterisparibus-Annahme). Die Partialanalyse kann selbstverständlich nur eine Vorstufe zur Totalanalyse sein. Während einige Vertreter, insbes. JEVONS, den Bruch mit der Klassischen Theorie betonten, sahen andere, insbes. MARSHALL, in der neuen Theorie lediglich eine Korrektur, Präzisierung und Weiterentwicklung früherer Auffassungen. Tatsache ist, dass die Neoklassische gleich der Klassischen Theorie in erster Instanz an der Erklärung langfristiger - Gleichgewichte der Wirtschaft interessiert ist. Diese sind im Fall freier Konkurrenz durch eine einheitliche Kapitalrendite (Profitrate) auf den Angebotspreis der Kapitalgüter gekennzeichnet. Während jedoch in der Klassik der - Reallohnsatz separat bestimmt wird und daher Grundrente und Kapitalprofit sich als Residuen ergeben, erklärt die Neoklassik alle Verteilungsvariablen in symmetrischer Weise durch das Angebot an und die Nachfrage nach den Leistungen der »Produktionsfaktoren« Arbeit, Boden und - Kapital. Die Neoklassische Theorie geht dabei von folgenden Daten resp. unabhängigen Variablen aus: a) Anfangsausstattungen der Wirtschaftssubjekte mit Gütern aller Art, einschl. der Produktionsfaktoren, b) Präferenzen bzw. Nutzenfunktionen der Konsumenten c) technischen Alternativen der Produktion, aus denen kostenminimierende Unternehmungen wählen können. Auf der Grundlage dieser Daten konstruiert die Theorie zunächst individuelle bzw. firmenspezifische Angebots- und Nachfragefunktionen bezüglich aller Güter und aller Faktorleistungen in Abhängigkeit von allen Preisen. In ihnen kommt das Rationalverhalten der Wirtschaftssubjekte zum Ausdruck, die als Konsumenten ihren - Nutzen und als Produzenten ihre - Gewinne zu maximieren trachten. Im Zentrum der einzelwirtschaftlichen Analyse stehen die Möglichkeiten der Substitution zwischen verschiedenen Gütern im Konsum bzw. zwischen verschiedenen Inputs in der Produktion. Im üblicherweise unterstellten Normalfall gilt, dass die relative Nachfrage nach einem Gut (Input) mit einem Anstieg des relativen Preises des Gutes (Inputs) sinkt. Die Substitution, so Joseph A. SCI-IUMPETER (1883-1950) in Anlehnung an MARSHALL, sei das allbeherrschende Moment wirtschaftlicher Sachverhalte. Aggregation über alle Anbieter und Nachfrager eines Marktes führt zur gesamtwirtschaftlichen Angebots- und zur Nachfragefunktion. Im Gleichgewicht gilt Angebot gleich Nachfrage. Der markträumende Preis und die dazugehörige Menge heißen Gleichgewichtspreis und -menge. Es schließen sich an die Fragen nach der Existenz, Eindeutigkeit und Stabilität des Marktgleichgewichts. Unter der Annahme, dass die Angebots-und Nachfragekurven die üblicherweise angenommene Gestalt aufweisen, d h. das Angebot eines Gutes mit steigendem Preis zunimmt und die Nachfrage mit steigendem Preis abnimmt, und sich beide Kurven im positiven Orthanten schneiden, und unter der weiteren Annahme, dass alle Güter- und Faktorpreise flexibel sind, stellt sich ein simultanes Gleichgewicht auf allen Märkten ein. Die Neoklassische Theorie ist daher in einem Preis-, Verteilungs-, Allokations- und Beschäftigungstheorie. Dies bedeutet insbes., dass in neoklassischer Sicht das ökonomische System aus sich selbst heraus Vollbeschäftigung der Arbeit und Vollauslastung der Kapazitäten erzeugt. Es gilt das SAYsche Gesetz, wobei im Unterschied zur Klassischen Theorie der Arbeitsmarkt dem Gesetz subsumiert ist. Anhaltende Arbeitslosigkeit ist diesem Verständnis nach in erster Linie auf zu hohe und nach unten starre Reallöhne zurückzuführen. Der wesentliche Unterschied zur Klassik besteht in der andersgearteten Verteilungstheorie. Tatsächlich versucht die Neoklassische Theorie, alle Verteilungsvariablen, d.h. neben der Rente auch Löhne und Profitrate, mittels eines universellen Erklärungsprinzips zu bestimmen: des Prinzips der Knappheit. Für die Vergütung einer Faktorleistung ist demnach der Grenzbeitrag des Faktors zum Produktionsergebnis, dessen Grenzproduktivität, von Bedeutung. Die Neoklassik überträgt mithin die von Autoren wie Thomas R. MALTHUS (1766-1834) und David RICARDO (1772-1823) entwickelte Theorie der Intensitätsrente auf die Faktoren Arbeit und Kapital: Lohnsatz und Profitrate sind diesem Verständnis nach ebenso Knappheitsindikatoren der letztgenannten Faktoren, wie die Intensitätsrente ein Indikator der Knappheit einer gegebenen Bodenart ist. An dieser Stelle wird auch die Bedeutung der Konsumentenpräferenzen und der Nachfrage für die relativen Güterpreise deutlich. Präferenzen und Nachfrage sind für die Preise nur insoweit von Bedeutung, als sie Einfluss auf die Einkommensverteilung nehmen. Denn der Preis eines jeden Gutes ist im Gleichgewicht gleich der Summe aller im Lauf seiner Produktion getätigten Faktorzahlungen. Steigt die Nachfrage nach einem Gut, so steigt dessen Preis nur dann, wenn wenigstens einer der Faktorpreise steigt und die Wirkung der möglicherweise sinkenden Preise anderer Faktoren überkompensiert. Hinsichtlich der Spezifikation der Anfangsausstattung der Wirtschaft mit einem Faktor Kapital gibt es zwei Möglichkeiten. Der einen zufolge wird das Kapital als in einem Wertmass oder numeraire gemessene Wertgröße vorgegeben; diese Variante findet sich u.a. bei JEVONS, von BÖHM-BAWERK, WICKSELL und CLARK. Der anderen zufolge wird das Kapital als Vektor physischer Bestände heterogener Kapitalgüter vorgegeben; diese Variante findet sich bei WALRAS. Die zweite Variante ist indes, worauf bereits WICKSELL aufmerksam gemacht hat, unvereinbar mit dem Begriff eines langfristigen Konkurrenzgleichgewichts, das durch eine einheitliche Profitrate auf alle Kapitalgüter charakterisiert ist. Für beliebig vorgegebene Bestände an Kapitalgütern ergibt sich nämlich i.allg. lediglich ein kurzfristiges Gleichgewicht mit unausgeglichener Profitrate. Ein derartiges Gleichgewicht, so John R. HICKS (1904-1989), kann jedoch nicht als full equilibrium angesehen werden. Es verbleibt die Vorgabe einer Wertgröße Kapital. In dieser Version der Theorie ist die physische Spezifikation des Kapitals ein Teil der Lösung des Systems: Die Zusammensetzung des Kapitalstocks ist so an die anderen Daten der Theorie (Präferenzen, technische Alternativen) angepaßt, dass ein einheitlicher Kapitalertragssatz resultiert. Doch auch diese Version hält einer genaueren Betrachtung nicht stand. Zunächst ist fraglich, ob mit der Vorgabe einer Wertgröße tatsächlich eine Kapitalmenge repräsentiert werden kann, die ohne Kenntnis der relativen Preise und damit der Einkommensverteilung, die erst bestimmt werden sollen, festliegt. Wie die Cambridge-Kontroverse gezeigt hat, unterliegt das neoklassische Argument einem Zirkelschluß: Der physische Kapitalstock wird simultan mit jener Größe, der Profitrate, bestimmt, zu deren knappheitstheoretischer Bestimmung er wertmäßig vorgegeben wird. Überdies ist im Rahmen dieser Kontroverse nachgewiesen worden, dass die neoklassische Vorstellung, wonach bei steigendem (sinkendem) Lohn-ZinsVerhältnis die Firmen zu Techniken mit höherer (niedrigerer) Kapitalintensität übergehen, nicht allgemein zutrifft (–* Reswitching und Capital Reversing). In einer Welt mit heterogenen (Kapital-) Gütern, so die Schlußfolgerung, ist im allg. jeder Begriff von Kapital unbrauchbar, der dessen Größe unabhängig von der Einkommensverteilung und vor der Bestimmung der relativen Preise zu fixieren versucht. Dies bedeutet, dass die geläufigen makroökonomischen und sektoralen - neoklassischen Produktionsfunktionen, sieht man von uninteressanten produktionstheoretischen Spezialfällen ab, nicht imstande sind, eine Multigüterwelt adäquat abzubilden. Obgleich in der Neoklassischen Theorie die Frage nach der Allokation knapper Ressourcen auf konkurrierende Zwecke lange Zeit im Vordergrund stand (statische Theorie), wurden auch Kapitalakkumulation und Wachstum untersucht (dynamische Theorie). Ausgehend von WALRAS entwickelt Gustav CASSEL (1866-1944) das Modell einer gleichmäßig expandierenden Wirtschaft. Darin ist das Wachstum ausschließlich die Folge des exogen vorgegebenen Wachstums der originären Faktoren der Produktion. Im Wachstumsmodell von Robert SOLOW (geb. 1924) hängt die Wachstumsrate der Wirtschaft neben der von der gesamtwirtschaftlichen Sparneigung gesteuerten Rate der Kapitalakkumulation vom Wachstum der Arbeitsbevölkerung ab. Als weiterer Wachstumsfaktor wird der - technische Fortschritt identifiziert, der sich in einer VerSchiebung der makroökonomischen Produktionsfunktion ausdrückt. Die geldtheoretischen Vorstellungen der Neoklassischen Theorie bestehen in Weiterentwicklungen der älteren Quantitätstheorie. In ihrer einfachsten Form besagt diese, dass das Geld wie ein Schleier über den realwirtschaftlichen Vorgängen liegt, d.h. diese nicht beeinflußt. Die Geldmenge reguliert das Preisniveau, das reale Sozialprodukt hingegen wird von den realwirtschaftlichen Faktoren bestimmt. Eine elaborierte Erklärung von Inflation und Deflation liefert WICKSELL mit seiner Zinsspannentheorie, in der zwischen Bankoder Geldzinssatz und realwirtschaftlichem oder »natürlichem« Zinssatz unterschieden wird. Eine weitere Station der neoklassischen Geldtheorie ist der Monetarismus von Milton FRIEDMAN (geb. 1912). Bei der Neoklassischen Theorie handelt es sich, trotz aller gegen sie vorgebrachten Kritik, um die im heutigen Lehr- und Forschungsbetrieb dominierende Denktradition. Literatur: Niehans, J. (1990). Blaug, M. (1985). Walsh, V., Gram, H. (1980). Hutchison, T.W. (1953)

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