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Versicherungsbetriebslehre

wirtschaftszweigbezogene Teildisziplin der Betriebswirtschaftslehre, die gemeinsam mit den an gesamtwirtschaftlichen Fragen der Versicherung arbeitenden Teilen der Volkswirtschaftslehre die wirtschaftswissenschaftliche Versicherungswissenschaft bildet. Objektbereiche der Versicherungsbetriebslehre sind die Versicherungsunternehmen, ihre Produkte sowie die in Versicherungsunternehmen stattfindenden Transformationsprozesse. Dabei wird den jeweiligen versicherungsspezifischen Eigenheiten besondere Beachtung geschenkt. Da das Versicherungsgeschäft im Kern in einer Übernahme von Risiken besteht, werden Risikopolitik und Risk Management als Teil der Versicherungsbetriebslehre angesehen.

Grundlagen der Versicherungsbetriebslehre

1. Charakterisierungen Versicherungsbetriebslehre ist die Lehre des Wirtschaftens im privaten Versicherungsunternehmen. Hauptgegenstand sind Versicherungsgeschäfte, die Versicherungsunternehmen unter Aufwendung von Abschluss- und Verwaltungskosten produzieren, über Märkte absetzen und die vom Versicherungsnehmer nutzenstiftend verwendet werden. Damit ist die Versicherungsbetriebslehre ein Zweig der spe-ziellen Betriebswirtschaftslehre. Versicherungen übernehmen gegen eine   Prämie für einen vertraglich festgelegten Zeitraum die fi-nanzielle Absicherung eines Versicherungsnehmers, gegen eine ihrer Natur nach zufällige, ebenfalls vertraglich vordefinierte Gefahr für seine oder eine dritte Person, sein Vermögen, seine Aktiva oder Passiva (Haftungsansprüche). Das Versicherungsgeschäft erfüllt demnach eine Schutzfunktion und ist eine zeitraumbezogene Dienstleistung. Eine Geldzahlung des Versicherungsuntemehmens erfolgt erst im Schadenfall resp. im Erlebensfall zum vorher vereinbarten Zeitpunkt und ist nur ein Bestandteil der Leistung. Die  Prämie fällt in der Regel vorschüssig für die gesamte Versicherungsdauer an. Die Höhe der Prämie bemisst sich in der Individualversicherung nach dem      Äquivalenzprinzip und kann eine  Selbstbeteiligung des Versicherungsnehmers mit einschliessen. Ratenzahlungen sind gegen Aufschlag möglich und üblich. Durch diese vorschüssige Zahlung ist die Kapitalanlagetätigkeit von Versi­cherungsunternehmen Bestandteil des Versicherungsgeschäfts und steht mit diesem in unmittelbarem Zusammenhang.
2. Versicherungsunternehmen und Versicherungssparten Versicherungsunternehmen sind formgebundene ökonomische Organisationen mit eigener Rechtsper­sönlichkeit, die Versicherungsprodukte herstellen und damit in unmittelbarem Zusammenhang stehen­de Geschäfte betreiben. Sie unterscheiden sich nach Rechtsform, Versicherungssparte, Absatzstufe und Kundenkreis und unterliegen der   Versicherungsaufsicht. Nach der Rechtsform unterscheidet man zwischen Versicherungsaktiengesellschaften,  Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit (VVaG) und öffentlich-rechtlichen Versicherungsunternehmen. Nach Versicherungssparten unterscheidet man zwischen Schaden-/Unfall-,  Kranken- und Lebens­versicherungsunternehmen. Diese Versicherungssparten müssen nach deutschem Recht getrennt von­einander betrieben werden (Spartentrennungsgebot). Dies begünstigt die Konzernbildung, da dann in­nerhalb eines Allsparten-Konzerns alle Absicherungsbedürfnisse des Kunden aus einer Hand bedient werden können. Um Kunden schliesslich alle Altervorsorgeprodukte aus einer Hand anbieten zu können oder um Cross-Selling Potenziale zu erschliessen, haben sich aus den Allsparten-Konzernen zum Teil   Finanzkonglomerate entwickelt.
3. Erstversicherungs- und Rückversicherungsunternehmen Bei der Unterscheidung nach Absatzstufe unterscheidet man zwischen   Erstversicherungsunterneh­men und Rückversicherungsunternehmen. Erstversicherungsunternehmen zeichnen direkt Geschäft mit dem Kunden und geben Teile der so übernommenen Risiken gegen Prämienzahlung an einen ande­ren Versicherer weiter, den Rückversicherer. Da der Erstversicherer als Geschäftspartner des Rückver­sicherers selbst mit dem Versicherungsgeschäft vertraut ist, geht man davon aus, dass er keines beson­deren Schutzes bedarf. Professionelle Rückversicherungsunternehmen unterliegen daher nur einge­schränkt der Versicherungsaufsicht. Das Versicherungsvertragsgesetz gilt für Rückversicherungsver­träge nicht. Beim   Erstversicherungsgeschäft unterscheidet man zwischen Privatkunden- bzw. Massengeschäft einerseits und gewerblichem bzw. Industriegeschäft andererseits, wobei sich gewerbliches und Indust­riegeschäft formal i.d.R. lediglich nach dem Umsatzvolumen unterscheiden, inhaltlich sind jedoch un­terschiedliche Kundenbedürfnisse mit diesen Geschäftstypen verbunden. Weitere spezielle Organisati­onsformen in der Versicherungsbranche, bei denen sich Versicherungsunternehmen zusammen schlie­ssen, sind die Mitversicherung und   Versicherungspools. Die beiden Formen unterscheiden sich primär nach der Dauer des Zusammenschlusses. Während  Mitversicherung fallweise zur Ausdeh­nung der Zeichnungskapazität erfolgt, sind   Versicherungspools auf dauerhafte Zusammenarbeit ausgelegt.
4. Vermittler u.A. Betriebe, deren Tätigkeit überwiegend in der Vermittlung von Versicherungsgeschäften liegt. Zu unter­scheiden sind Vermittlerbetriebe, die an eine Versicherungsgesellschaft über den Agenturvertrag ge­bunden sind (Einfirmenvertreter), Kooperationsabkommen mit mehreren Versicherungsgesellschaf­ten haben (Mehrfirmenvertreter) oder unabhängig von einzelnen Versicherungsgesellschaften am Markt auftreten, d.h. bei jedem neuen Versicherungsgeschäft nach dem   Best-Advice-Prinzip im Auftrag des Kunden den bestmöglichen Versicherungsschutz vermitteln (Versicherungsmakler). Ei­ne Sonderform stellt der sog.   Captive Broker dar, der als Industrieversicherungsmakler nur für einen Kunden, d.h. meist einen Konzern, tätig wird. Versicherungsgesellschaften, die ohne Versicherungs­vermittler arbeiten, werden   Direktversicherer genannt.
5. Tätigkeitsbereiche nach betrieblichen Funktionen Primäre Aktivitäten der Versicherungsunternehmen sind alle Aktivitäten innerhalb der Wertschöp­fungskette, die unmittelbar mit der Herstellung und dem Vertrieb der  Versicherungsprodukte ver­bunden sind: · Produktentwicklung und Tarifierung erfolgt in der Regel in interdisziplinären Projektgruppen, in die sowohl Vertreter der Aussenorganisation als auch Controller, Juristen und   Aktuare mit ein­bezogen werden. Dabei obliegt es den Vertretern der Aussenorganisation die Nachfrage abzuschät­zen und/oder Versicherungsbedarf aufzuzeigen. Aufgabe der Juristen ist es, das berechnete Pro­dukt in eine justiziable Vertragsform zu fassen und dabei sicher zu stellen, dass die rechtlichen Vorgaben (BGB,   VVG,  VAG) eingehalten werden.   Aktuare berechnen auf Basis statisti­scher Daten mit versicherungsmathematischen Methoden aus der Schadenverteilung das Risiko, das der Versicherer mit dem entsprechenden Produkt übernimmt, und leiten daraus sowie aus den Schätzungen des notwendigen Sicherheitszuschlags und den Betriebskosten eventuell unter Ansatz eines Gewinnzuschlags den Tarif ab. Aus dem Tarif kann dann die jeweils konkrete individuelle Prämie abgeleitet werden, die sich von der Tarifprämie durch einen Zuschlag für ein individuell erhöhtes Risiko (Risikozuschlag) unterscheiden kann. Auch sind Zuschläge aufgrund individuell gewählter Zahlungsweise möglich (Ratenzuschlag). · Absatz/Vertrieb: Sowohl Vertriebswege als auch Vertriebssteuerung sind in der Versicherungs­branche durch Besonderheiten gekennzeichnet. Im Personenversicherungsgeschäft hat insbesonde­re der Vertrieb über unternehmensgebundene Absatzorgane (Einfirmenvertreter),   Versiche­rungsmakler und über Banken (Allfinanz) eine grosse Bedeutung. Auch  Strukturvertriebe als unternehmensgebundene oder unabhängige Vermittler sind üblich. Im Industrieversicherungsge­schäft erfolgt der Vertrieb in der Regel über Industrieversicherungsmakler und im Falle grosser Konzernkunden auch über sog.  Captive Broker. Im Innendienst werden absatzbezogene Aufga­ben zunehmend durch interne Callcenter übernommen. Zu den wichtigsten Instrumenten der Ver­triebssteuerung gehören die verschiedenen Formen der Vermittlungsprovision. · Risikoprüfung ist integraler Bestandteil des  Underwriting. Hierbei werden die Risiken bewertet, die übernommen werden. Eine Mitwirkung des Versicherungsnehmers ist dabei unerlässlich. Im Privatkundengeschäft ist es üblich, dass der Versicherungsnehmer vor Vertragsabschluss Fragen zum Risiko beantwortet, die als Grundlage für die Risikobewertung dienen. Im Personenversiche­rungsgeschäft kann zusätzlich eine ärztliche Untersuchung gefordert werden. Im Sachversiche­rungsgeschäft ist eine Ortsbegehung zur Inaugenscheinnahme häufig Teil der Risikoprüfung. Im gewerblich-industriellen Geschäft geht der eigentlichen Risikoprüfung zunächst eine Risikoanaly­se voraus, bei der die Unternehmensrisiken systematisch erfasst, häufige Schadenursachen ermit­telt und betriebliche Schadenpotenziale aufgedeckt werden. Auf dieser Basis entscheidet der Un­ternehmer, welche Risiken versichert werden sollen, während der Versicherer die Annahmemög­lichkeit prüft. Da dieser Prozess sehr aufwändig und komplex ist, haben einige Versicherungsun­ternehmen hierfür spezialisierte Einheiten ausgegründet zu Risk-Management-Gesellschaften. · Kapitalanlagetätigkeit folgt einerseits unmittelbar aus der vorschüssigen Prämienzahlung und an­dererseits kann sie, wie in der kapitalbildenden Lebensversicherung, Produktbestandteil und Dienstleistung sein. Die Erträge aus Kapitalanlagen gehen in den Rohüberschuss ein, der wieder­um zur Verteilung an Eigentümer und Kunden zur Verfügung steht. Siehe auch  Anlageverord­nung, in der die im  VAG postulierten Anlagegrundsätze definiert sind. Schadenbearbeitung ist Teil der Leistungserstellung und umfasst alle Prozesse vom Eingang der Schadenmeldung bis zur Entscheidung über den Versicherungsschutz und gegebenenfalls das Exkasso. Die Schadenbearbeitung umfasst die Entgegennahme der Schadenmeldung mit der Anlage der Schadenakte, die Prüfung des Versicherungsfalls, die Regulierung und die Endbearbeitung. Zu den obigen primären Aktivitäten treten sekundäre Aktivitäten, die die Herstellung und den Vertrieb der Versicherungsprodukte unterstützen. Sie haben Versorgungs- und Steuerungsfunktion. Wesentliche sekundäre Aktivitäten im Versicherungsunternehmen sind Organisation und Personal, Informations­technologie, Rechnungswesen, Controlling und Risikomanagement. Hinweis Zu den angrenzenden Wissensgebieten siehe   Controlling, Grundlagen,  Dienstleistungen,           Direktmarketing, E-Commerce,   Globalisierung,   Incoterms,   Konsumentenverhalten,   Kunden­zufriedenheit,  Marketing, Grundlagen,   Marketing, Internationales,   Marktforschung,   Pro­dukthaftung,   Ratingmethoden, kreditwirtschaftliche,  Risikocontrolling,   Vertriebspolitik,  Warenkreditversicherung.

Literatur: Farny, D., Entwicklungen der Versicherungsbetriebslehre. ZVersWiss 88/1999, S. 567 —609; Farny, D., Versicherungsbetriebslehre, 3. Aufl., Verlag Versicherungswirtschaft 2000; Görgen, F., Versicherungsmarketing, Kohlhammer 2000; Görgen, F., Marketingstrategien europäischer Versicherer nach der Deregulierung, in: Kamen, U. (Hrsg.), Applied Marketing. Anwendungsorientierte Marke­tingwissenschaft der deutschen Fachhochschulen, Springer 2003, S. 261 — 274; Harrington, S. E. / Nie-haus, G. R., Risk Management and Insurance, McGraw-Hill 1999; Koch, P., Versicherungswirtschaft —ein einführender Überblick, Verlag Versicherungswirtschaft 1998; Lach, H., Vertikales Marketing von Versicherungsunternehmen, Duncker & Humblot 1995; Schradin, H.R., Erfolgsorientiertes Versiche­rungsmanagement, Verlag Versicherungswirtschaft 1994; Schulenburg, J.-M. Graf von der, Versiche­rungsökonomik, Verlag Versicherungswirtschaft 2005; Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) zuletzt geändert durch Gesetz zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes und anderer Gesetze vom 15. Dezember 2004, BGBl I2004 Nr. 69, S. 3416 — 3428; Zweifel, P. / Eisen, R., Versicherungsöko­nomie, Springer 2000. Internetadressen: http://europa.eu.int/comm/internal_market/insurance; http://www.actuaries.org; http://www.bafin.de; http://www.ceiops.org; http://www.versicherungsombudsmann.de

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